Welttag Patientensicherheit: Diagnose einer psychischen Störung ein umfassendes Zusammenspiel verschiedener Informationsquellen

Dr. Torsten Piendl, Leitung des Psychologischen Dienstes, Dr. Ivana Smajstrlova, Oberärztin und Doreen Seidl, Qualitätsmanagement (v.l.) (Foto: S. Steinhauser)

Mainkofen. Am 17. September 2024 ist der Welttag der Patientensicherheit. In diesem Jahr lautet das Schwerpunktthema „Diagnosesicherheit“. Das Bezirksklinikum Mainkofen ist Mitglied im Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. und möchte den Tag nutzen, um über das Thema Diagnostik und Diagnosesicherheit in der Psychiatrie aufzuklären.


Die Diagnose einer psychischen Störung basiert auf den diagnostischen Kriterien der ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision), welche die amtliche Klassifikation zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung in Deutschland darstellt. Die zu erhebenden Symptome wiederum sind gemäß AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie) in Form des Psychopathologischen Befunds zu erheben.


Dennoch ist eine Diagnosestellung in der Psychiatrie sehr viel umfangreicher als es diese Basisanforderungen vermuten ließen und umfasst in der Praxis folgende Kriterien: Psychiatrische, somatische (Soma griech. „Körper“), biographische Anamnese sowie Familien- und Fremdanamnese. Hinzu kommen der psychopathologische Befund, ein körperlicher und neurologischer Befund, technische Zusatzuntersuchungen und testpsychologische Untersuchungen.


Im ersten Schritt erfolgt bei dem Patienten eine umfassende psychiatrische Untersuchung. In der Anamnese wird neben der psychiatrischen Vorgeschichte auch die körperliche Krankengeschichte erhoben. Dabei ist jeder Patient individuell zu betrachten. Ferner spielen Befundberichte und Fremdanamnese, also Angaben der vorbehandelnden Ärzte, Psychotherapeuten, Angehörigen sowie Pflegekräfte der einweisenden Einrichtung, eine relevante Rolle.


Im Gespräch eine tragfähige Beziehung zwischen Arzt und Patient aufbauen
Bei der folgenden Exploration handelt es sich um eine Vertiefung der Anamnese in Form eines diagnostischen Interviews. Diese dient zum einen der detaillierten Erfassung individueller Symptomausprägungen und entsprechender Problemstellungen im Alltag, zum anderen beginnt bereits hier der Aufbau einer vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung zwischen Arzt/Therapeut und Patient. In dem Gespräch werden Beispiele, persönliche Wahrnehmungen und individuelle Bewertungen erfragt.


Im nächsten Schritt folgt die AMDP-basierte Psychopathologische Befunderhebung. Dabei wird u.a. auf folgende Symptome geachtet: Äußeres Erscheinungsbild und Verhalten, Bewusstsein und Orientierung, Aufmerksamkeit und Konzentration, Gedächtnis, formale Denkstörungen (z.B. verlangsamtes Denken, Denken und Sprechen verlieren verständlichen Zusammenhang, Wortneubildungen, die der sprachlichen Konvention nicht entsprechen und oft nicht verständlich sind), inhaltliche Denkstörungen (überwertige Ideen, Wahnwahrnehmungen, Wahneinfälle, Wahngedanken), Ich-Störungen (Fremdbeeinflussung, Gedankenausbreitung/-entzug) Befürchtungen und Zwänge (z.B. Ängste, Phobien, Panikzustände, Zwangshandlungen & -gedanken), Störungen des Affektes und der Stimmung (deprimiert, ängstlich, euphorisch u.v.m.) oder Wahrnehmungsstörungen (z.B. Sinnestäuschungen in Form von Halluzinationen). Ferner wird nach Appetit, Schlaf und Vorliegen von Selbstmordgedanken gefragt.


Zu einer vollständigen psychiatrischen Diagnostik zählt schließlich eine umfassende körperliche Untersuchung und Abklärung. Dr. Ivana Smajstrlova, Oberärztin auf der Aufnahmestation Allgemeinpsychiatrie B6/E und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt: „Eine körperliche Abklärung ist sehr wichtig, weil sie letztendlich zur Diagnose führt. Auch psychiatrisch kranke Patienten können körperliche Beschwerden haben, um die ich mich kümmern und denen ich nachgehen muss. Seien es Stoffwechselerkrankungen, Entzündungen oder Tumore im Gehirn oder ein Verdacht auf Epilepsie. Denn wenn die Diagnose richtig ist, zeigt sich die Therapie als erfolgreich.“


Körperliche Abklärung in der Psychiatrie gibt Klarheit und kann Leben retten
Die allgemein internistische und neurologische Untersuchung ist von wesentlicher Bedeutung, um alle Informationen und Symptome zu sammeln, wichtige Komorbiditäten (weitere Krankheitsbilder) zu erfassen, aber auch, um somatische Ursachen der aktuellen psychischen Symptome auszuschließen. Dabei spielen auch apparative Untersuchungen eine Rolle, also mit Hilfe von Geräten.


Die Routinediagnostik besteht zunächst aus einer laborchemischen Untersuchung von Blut und Urin, gegebenenfalls wird auch ein Drogenscreening durchgeführt. Anschließend folgen ein EKG (Elektrokardiogramm) und eine Untersuchung des Kopfes durch bildgebende Verfahren in Form eines cMRTs (craniale Magnetresonanztomographie) oder cCTs (Computertomographie). Bei einer Lumbalpunktion wird das Gehirnwasser gewonnen, das ebenfalls im Labor genau untersucht wird, sollte dies die vorläufige Diagnose notwendig machen. In einzelnen Fällen wird zudem noch ein EEG (Elektroenzephalogramm) durchgeführt.


Dr. Smajstrlova nennt ein Beispiel für die Bedeutung der körperlichen Abklärung in der Psychiatrie: Eine Patientin, Anfang 50, wurde kürzlich vom Hausarzt wegen Selbstmordgedanken ins Bezirksklinikum Mainkofen eingewiesen. „Da die Patientin auf mich einen schlechten körperlichen Eindruck gemacht hat, habe ich gezielt nachgefragt. Dabei hat sich herausgestellt, dass sie ca. drei Wochen vor der Aufnahme rechtsbetonte Kopfschmerzen hatte, verbunden mit Übelkeit, Schwindel und einem Schwächegefühl. Daraufhin habe ich eine CT-Untersuchung des Kopfes angeordnet.“ Dabei hat sich gezeigt, dass die Patientin einen Schlaganfall hatte. Sie ist daraufhin zunächst direkt ins das Neurologische Zentrum des Bezirksklinikums und von dort aus zum chirurgischen Eingriff in ein fachspezifisches Krankenhaus verlegt worden.
„Dies ist ein guter Beleg dafür, warum die körperliche Abklärung in der Psychiatrie so wichtig ist – weil wir damit Leben retten und dem Patienten Klarheit/Sicherheit geben können“, so Dr. Smajstrlova. „Nach erfolgreicher Therapie werden die Patienten wieder psychophysisch belastbarer, leistungsfähiger und erfahren eine bessere Lebensqualität.“


Standardisierte psychologische Testverfahren sind von Vorteil
Sollte es sich als notwendig herausstellen, kann schließlich bei dem Patienten noch eine Psychologische Testung durchgeführt werden. Die Testpsychologischen Verfahren umfassen (Teil-) Standardisierte Interviews, Fragebögen und Leistungstest. Bei den Fragebögen werden u.a. Diagnosekriterien, Persönlichkeit, Einstellungen, Motivation und Emotionen erfasst. Bei den Leistungstests handelt es sich um Intelligenztests, Neuropsychologische Testverfahren und Demenz-Tests. Bei Bedarf können auch Symptom-Validierungs-Tests oder Tests zur Erfassung der Fahrtauglichkeit zum Einsatz kommen.
Dr. Torsten Piendl, Leitung des Psychologischen Teams und sowohl Psychologischer Psychotherapeut wie auch Klinischer Neuropsychologe betont, dass ein zentraler Vorteil von psychologischen Testverfahren deren Standardisierung und Normierung sind:
„Beispielsweise zur Demenzdiagnostik kommen ambulant meist Screeningverfahren zum Einsatz. Diese sind schnell und einfach durchzuführen. Zugleich fehlt aber eine vernünftige Normierung. Standardisierte psychologische Testverfahren hingegen berücksichtigen bei der Interpretation eines Ergebnisses stets Variablen wie Alter oder Bildungshintergrund. Auf die entsprechende Validität der verwendeten Testverfahren wird in unserem Klinikum, welches auch für die Lehre am Medizincampus Niederbayern verantwortlich sein wird, Wert gelegt.“


Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass in der Psychiatrie eine Diagnose aus dem Zusammenspiel vieler verschiedener Informationsquellen resultiert. Erst unter Berücksichtigung der Angaben des Patienten, der Berichte von Angehörigen, von Vorbefunden und verschiedenster psychiatrischer, neurologischer, apparativer und psychologischer Untersuchungsverfahren und nach Ausschluss sämtlicher somatischer Ursachen einer aktuellen Symptomatik kann auf Basis eines AMDP-basierten Psychopathologischen Befunds eine ICD-basierte Diagnose gestellt werden.

12.09.2024

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